Verhandlungsvergabe

Verhandlungsvergabe: Die flexible Alternative im Vergaberecht

Die Verhandlungsvergabe stellt neben dem offenen und dem nicht offenen Verfahren eine bedeutende Form der Auftragsvergabe im öffentlichen Sektor dar. Sie zeichnet sich durch ihre Flexibilität und die Möglichkeit direkter Verhandlungen zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und potenziellen Bietern aus. Obwohl sie strengen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegt, bietet die Verhandlungsvergabe in bestimmten Situationen erhebliche Vorteile. Dieser umfassende Artikel beleuchtet die Grundlagen, die Anwendungsbereiche, den Ablauf und die Besonderheiten der Verhandlungsvergabe.

Was ist die Verhandlungsvergabe? Eine detaillierte Definition

Die Verhandlungsvergabe ist ein Vergabeverfahren, bei dem der öffentliche Auftraggeber nach seiner Wahl einen oder mehrere Unternehmen zur Abgabe von Angeboten auffordert und mit diesen Unternehmen über die Auftragsbedingungen verhandelt. Im Gegensatz zu offenen und nicht offenen Verfahren, bei denen die Zuschlagskriterien im Vorfeld feststehen und die Angebote ohne Verhandlung eingereicht werden, ermöglicht die Verhandlungsvergabe einen direkten Dialog zwischen Auftraggeber und Bieter.

Dieses Verfahren ist im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung (VgV) geregelt und darf nicht willkürlich eingesetzt werden. Es ist an spezifische Voraussetzungen gebunden, die sicherstellen sollen, dass der Wettbewerb nicht unnötig eingeschränkt wird und die Grundsätze der Transparenz und Wirtschaftlichkeit gewahrt bleiben.

Die Anwendungsbereiche der Verhandlungsvergabe: Wann ist sie zulässig?

Die Verhandlungsvergabe ist nicht das Standardverfahren, sondern kommt in bestimmten, gesetzlich definierten Fällen zum Einsatz. Die wichtigsten Anwendungsbereiche sind:

Unterschwellenbereich (nationale Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte):

Im Unterschwellenbereich ist die Verhandlungsvergabe (oft auch als Freihändige Vergabe bezeichnet) unter erleichterten Bedingungen zulässig. Die genauen Regelungen variieren je nach Bundesland und den jeweiligen Landesvergabegesetzen. Typische Gründe für eine Verhandlungsvergabe unterhalb der Schwellenwerte sind:

  • Dringlichkeit: Wenn die Beschaffung aufgrund unvorhergesehener Ereignisse besonders eilig ist.
  • Besondere Fachkenntnisse: Wenn der Auftrag spezielle Expertise erfordert, über die nur wenige Unternehmen verfügen.
  • Einmalige oder spezifische Leistungen: Wenn der Auftrag so einzigartig ist, dass ein Wettbewerb kaum möglich ist.
  • Wiederholungsaufträge: Unter bestimmten Voraussetzungen können frühere Auftragnehmer erneut ohne Wettbewerb beauftragt werden.
  • Geringer Auftragswert: Bei Aufträgen von geringem Wert können vereinfachte Verfahren angewendet werden.

Oberschwellenbereich (EU-weite Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte):

Auch oberhalb der EU-Schwellenwerte ist die Verhandlungsvergabe in bestimmten Ausnahmefällen zulässig. Diese sind in § 14 der VgV detailliert geregelt und umfassen unter anderem:

  • Erfolgloser Abschluss anderer Verfahren: Wenn ein offenes oder nicht offenes Verfahren ohne Erfolg geblieben ist (z.B. keine geeigneten Angebote eingegangen sind).
  • Besondere Dringlichkeit: Wenn die Einhaltung der Fristen für offene oder nicht offene Verfahren aufgrund zwingender Gründe nicht möglich ist.
  • Einzigartige oder besonders komplexe Leistungen: Wenn die Art der Leistung oder des Auftrags eine vorherige Beschreibung mit hinreichender Genauigkeit nicht zulässt.
  • Forschungs- und Entwicklungsleistungen: Unter bestimmten Voraussetzungen können Aufträge für Forschungs- und Entwicklungsleistungen im Verhandlungswege vergeben werden.
  • Zusätzliche Bau- oder Dienstleistungen: Wenn zusätzliche Leistungen erforderlich werden, die vom ursprünglichen Auftragnehmer erbracht werden müssen und wirtschaftlich oder technisch nicht von den Hauptleistungen getrennt werden können.
  • Lieferungen zur Ergänzung: Wenn zusätzliche Lieferungen des ursprünglichen Lieferanten zur Ergänzung bereits beschaffter Güter erforderlich sind und ein Wechsel des Lieferanten zu Inkompatibilitäten oder unverhältnismäßigen Schwierigkeiten führen würde.

Der Ablauf der Verhandlungsvergabe: Vom Teilnahmewettbewerb bis zum Zuschlag

Der Ablauf einer Verhandlungsvergabe kann variieren, folgt aber im Wesentlichen folgenden Schritten:

1. Bekanntmachung (optional):

Im Oberschwellenbereich kann der Auftraggeber eine Bekanntmachung im EU-Amtsblatt veröffentlichen, um interessierte Unternehmen zur Teilnahme am Verhandlungsverfahren aufzufordern (mit Teilnahmewettbewerb). Im Unterschwellenbereich ist eine öffentliche Bekanntmachung in der Regel nicht zwingend erforderlich, aber oft üblich.

2. Auswahl der Unternehmen:

Der Auftraggeber wählt auf Grundlage von Eignungskriterien (sofern ein Teilnahmewettbewerb durchgeführt wurde) oder direkt (ohne Teilnahmewettbewerb) einen oder mehrere Unternehmen aus, mit denen er in Verhandlungen treten möchte.

3. Aufforderung zur Angebotsabgabe:

Die ausgewählten Unternehmen werden zur Abgabe eines ersten Angebots aufgefordert. Die Anforderungen an das Angebot können weniger detailliert sein als bei offenen oder nicht offenen Verfahren.

4. Verhandlungen:

Der Kern der Verhandlungsvergabe sind die direkten Verhandlungen zwischen dem Auftraggeber und den Bietern. Gegenstand der Verhandlungen können alle Aspekte des Auftrags sein, einschließlich der technischen Spezifikationen, der Preise, der Liefer- oder Ausführungsfristen und der Vertragsbedingungen. Der Auftraggeber ist dabei an die Grundsätze des Vergaberechts gebunden (Gleichbehandlung, Transparenz, Wettbewerb, Wirtschaftlichkeit).

5. Überarbeitung der Angebote:

Nach den Verhandlungen werden die Bieter in der Regel aufgefordert, ihre Angebote auf Basis der geführten Gespräche zu überarbeiten und ein endgültiges Angebot einzureichen.

6. Bewertung der Angebote:

Der Auftraggeber bewertet die endgültigen Angebote anhand der zuvor bekanntgegebenen Zuschlagskriterien (z.B. Preis, Qualität, technische Leistungsfähigkeit).

7. Zuschlagserteilung:

Der Zuschlag wird dem wirtschaftlichsten Angebot erteilt. Der Zuschlag ist den unterlegenen Bietern bekanntzugeben.

8. Informations- und Wartepflicht:

Im Oberschwellenbereich gilt eine Informations- und Wartepflicht (sog. Stillhaltefrist) von in der Regel 15 Kalendertagen nach der Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung, bevor der Vertrag geschlossen werden darf. Dies gibt unterlegenen Bietern die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen.

Besonderheiten und Herausforderungen der Verhandlungsvergabe

Die Verhandlungsvergabe birgt einige Besonderheiten und Herausforderungen:

  • Hoher Kommunikationsaufwand: Die direkten Verhandlungen erfordern einen intensiven Austausch zwischen Auftraggeber und Bietern.
  • Subjektivität: Die Gefahr subjektiver Entscheidungen ist potenziell höher als bei formalisierten Verfahren.
  • Dokumentationspflicht: Eine sorgfältige Dokumentation des gesamten Verfahrens, insbesondere der Verhandlungen und der Entscheidungsfindung, ist unerlässlich, um Transparenz zu gewährleisten und Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen.
  • Wettbewerbsgrundsatz: Auch bei der Verhandlungsvergabe muss der Wettbewerbsgedanke so weit wie möglich berücksichtigt werden. Der Auftraggeber sollte in der Regel mehrere Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordern.
  • Transparenzgebot: Die wesentlichen Aspekte des Verfahrens und die Gründe für die Wahl der Verhandlungsvergabe müssen nachvollziehbar sein.

Fazit: Die Verhandlungsvergabe als flexibles und situationsangepasstes Instrument

Die Verhandlungsvergabe ist ein wichtiges und flexibles Instrument im Vergaberecht, das in bestimmten Situationen eine sinnvolle und effiziente Alternative zu offenen und nicht offenen Verfahren darstellen kann. Ihre Stärke liegt in der Möglichkeit des direkten Dialogs und der Anpassung der Auftragsbedingungen an die spezifischen Bedürfnisse des Auftraggebers und die Gegebenheiten des Marktes. Allerdings erfordert ihre Anwendung ein hohes Maß an Sorgfalt, Transparenz und die strikte Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, um den Wettbewerb nicht unnötig einzuschränken und die Grundsätze des Vergaberechts zu wahren. Ein fundiertes Verständnis der Anwendungsbereiche und des Ablaufs der Verhandlungsvergabe ist sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Unternehmen, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen möchten, von entscheidender Bedeutung.